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Wie geht Kreativität?

by Claudia Brose

Kreativität ist etwas Mysteriöses, Unverständliches. Es hat etwas mit höheren Kräften zu tun. So wurde früher Kreativität betrachtet. Bis zum Zeitalter der Aufklärung wurde Imagination, die Vorstellungskraft, ausgelagert an unbekannte, andere Gewalten. Menschen konnten das Konzept Kreativität nicht verstehen. Also war die Quelle innovativer Durchbrüche irgendwo „da draußen“ angesiedelt. Wo sonst sollten sie herkommen? Kreativität ist nicht messbar, nicht greifbar, nicht zu berechnen, unberechenbar.

Produkt- und Werbefotograf Eberhard Schuy schreibt in seinem Buch Timbulär, Fotografie und Kreativität:

„Man kann es nicht oft genug sagen: Es geht darum, neugierig zu sein und zu bleiben, nichts sollte dabei ausgeschossen werden.“

Schon Albert Einstein sagte: „Ich habe keine besondere Begabung, sondern bin nur leidenschaftlich neugierig.“ Und Schuy fährt fort: „Bei mir ist es so, dass ich gerade die mir scheinbar fremden Eindrücke besonders suche, nichts ist inspirierender als Fremdes, Ungewohntes und die Dinge, die wir scheinbar nicht verstehen, zu denen wir keinen -oder besser gesagt: noch- keinen Bezug haben. Bleiben Sie offen für alles!“

Neugierde und Kreativität

Neugierig bleiben. Offen sein. Genau hinschauen. Zuhören können. Eindrücke sammeln. Bewusst beobachten.

Kreativität ist von Natur aus ungewiss. Du kannst es nicht voraussagen, nicht planen, nicht kontrollieren. Das heißt aber auch, bereit dafür zu sein, mit Risiko, Angst, Unbehagen und Unsicherheit umzugehen.

John Maeda (frühere Präsident der Rhode Island School of Design) sagte auf einer Konferenz in New York, dass einer der Aspekte, den „kreative Leute“ ausmacht ist, dass sie „Fehler lieben“ und mit „Ambiguität kein Problem haben“.

Unsicherheit annehmen

Unsicherheit macht sich im Kopf und Bauch breit, wenn wir versuchen, etwas Neues, Außergewöhnliches, Besonderes zu kreieren. Unsicherheit ist, was viele nicht mögen oder abhält, nach vorne zu pushen. Kreativität beinhaltet, laut Jonathan Fields (in seinem Buch Uncertainty – Turning Fear and Doubt into Fuel for Brilliance), drei Komponenten:

Unsicherheit, Risiko und sich Kritik aussetzen.

Diese Faktoren sollten nicht als „Feinde“ oder Leid angesehen werden, sondern als Gelegenheiten, den kreativen Prozess zu durchlaufen und zu einem „kreativen Ergebnis“ zu kommen.

Kreative, Fotografen und Unternehmer, die es schaffen, Unsicherheit positiv zu sehen, es in ihre Prozesse zu integrieren und zu akzeptieren, werden erkennen, dass sie ihre Kreativitäts- und Innovationsprozesse viel zügiger vorantreiben können.

Kreatives Schaffen durch Beschränkungen

„Die Imagination oder Vorstellungskraft wird durch Einschränkungen freigesetzt. Du brichst aus dem Kastendenken heraus indem du dir Fesseln anlegst“,

schreibt Jonah Lehrer, Autor des Buchs ImagineHow Creativity Works. Psychologen erklären, dass mit weniger Ressourcen, die einem Designer, Kreator, Künstler, Produkt- oder Projektentwickler zur Verfügung stehen, sie anfangen, die Welt anders zu sehen und neue Wege zu entwickeln.

Marissa Mayer, ehemalige Vize-Präsidentin bei Google, schrieb in einem Artikel „Creativity loves constraints” (auf Bloomberg Businessweek), dass Beschränkungen Probleme formen und sie in den Fokus rücken und Beschränkungen bieten klare Herausforderungen, die es zu überwinden gilt. Kreativität gedeiht am besten, wenn sie eingeschränkt ist.

Frank Gehry behauptet von sich, dass es die Limitationen und Beschränkungen sind, die ihn zu seiner Arbeit inspirieren. Der Künstler Phil Hansen berichtet in diesem TED Talk, wie er sich dem abrupten Ende seines Traums, Künstler zu werden gegenübersah, als ihm durch seine zittrige Hand keine „normalen“ Zeichnungen mehr gelangen. Erst als ihm ein Neurologe empfahl, dieses Zittern, also die Einschränkung, anzunehmen und damit zu arbeiten kam er aus seiner Frustration heraus und seine Portrait Zeichnungen wurden fortan kreative Werke aus geschwungenen und zittrigen Linien. Daraus entwickelten sich viele neue Kunstformen für ihn, nachdem er zu dem Schluss kam, dass die Annahme von Limitationen die Kreativität tatsächlich fördern kann.

Kreatives Fotografieren

Wir hören nie auf, zu lernen. Auch nicht in der Fotografie. Technik, künstlerisches Verständnis, Trends und Sichtweisen verändern sich stetig und ein leidenschaftlicher Fotograf setzt sich entsprechend mit seiner fotografischen Entwicklung auseinander.

Um kreatives Fotografieren zu üben, kann sich der Fotograf künstlich aufgesetzten Beschränkungen unterwerfen. Er kann sich selbst die Aufgabe geben, für einen oder mehrere Tage oder Wochen nur mit einem Objektiv zu fotografieren oder nur an einer Location oder eine Aufgabenstellung mit einer imaginären Rolle Film, die ihn auf 36 Bilder beschränkt zu fotografieren.

Nur schwarz-weiß fotografieren verlangt ein anderes Sehen, oder nur zu fotografieren, was sich über oder unter dem Fotografen befindet oder nur mit einer bestimmten Lichtquelle zu arbeiten fordern die Kreativität.

Warum Beschränkungen die Kreativität fördern

Warum können Beschränkungen helfen, kreative Lösungen zu finden?

Weil die Personen unter den eingeschränkten Bedingungen ihre Aufmerksamkeit auf die wenigen Elemente lenken, die wirklich wichtig sind, bewusster fokussieren und Entscheidungen viel schneller fällen. Verschiedene Versuche, von unterschiedlichen Institutionen oder Forschungsteams, haben diese Schlüsse gezogen.

Das Stanford University’s Hasso Plattner Institute of Design (“d.school”) kreierte mit der San Francisco Oper ein Projekt (Barely Opera), bei dem kurzfristig ein Stück für eine Bar in San Francisco entwickelt werden sollte, um nicht-Opern-Gängern die Oper schmackhaft zu machen. Das mit Unbehagen seitens der Opern Darstellern vollbrachte Werk war so erfolgreich, dass die Idee weiter ausgebaut wurde.

In einem anderen Beispiel hat das Medienunternehmen Forbes preisgekrönte Werke von 1,7 Millionen Menschen untersucht und festgellt, dass die Leute, die neue Entwicklungen und Innovationen hervorbrachten, meistens durch ihre Beschränkungen inspiriert wurden.

Den Kopf öffnen

Der Prozess der Kreativität wird mit verschiedenen „unangenehmen“ Faktoren verbunden, die jeder, der sich in „Kreativität“ üben möchte, mit offenen Armen annehmen sollte: den Kopf weit offen haben (neugierig sein), kein Problem damit haben, auf die Nase zu fallen (Fehler lieben), mit wenigen Zutaten operieren (Mangel und Reduktion schätzen), Sicherheit und Perfektion aus dem Fenster werfen (Unsicherheit akzeptieren).

Und, ein weiterer Aspekt:

„Kreativität bedeutet auch zu springen und sich nicht verbissen in einem Thema zu verlieren“,

sagt Fotograf Eberhard Schuy – und diese Weisheit lässt sich mit Sicherheit auf viele andere Lebensbereiche übertragen.

 

Claudia BroseWie geht Kreativität?

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