Mit Eingebungen von Rüdiger Schrader, visueller Denker, Fotograf, Director of Photography und Coach. *
Die Fähigkeit, wirklich hinzuschauen, zu beobachten und wahrzunehmen geht heute verloren, da wir keine Ruhe dafür haben und die visuelle Stimulation einfach überhandnimmt. Dabei brauchen wir diese Fähigkeit, egal ob auf der Straße im Alltagskampf, als Manager oder Führungskraft oder als Fotograf.
Verbale und nonverbale Kommunikation
Dabei dürfen wir nicht vergessen, „wir sind Augenmenschen. Fast neunzig Prozent der Informationen, so sagen die Wahrnehmungspsychologen, nehmen wir über die Augen wahr, nur den Rest über Gehör, Geruch, Geschmack, also über andere körperliche Sinne. Sehen ist bei uns dominant, auf nichts reagieren wir so stark wie auf optische Reize, wir schauen hin, beobachten, schauen zu, egal ob es sich um stillstehende oder bewegte Bilder handelt, es geht immer um Schauen, Schauen, Schauen“, sagt Konrad Paul Liessmann in Warum macht Kultur uns so glücklich?). Wie können wir die Tatsache, dass wir „Augenmenschen“ sind besser für uns nutzen?
Trainer Rüdiger Schrader will Menschen helfen, ihren Blick auf die Dinge und das Tun zu schärfen – durch visuelles Denken. Als Fotograf, Journalist und ehemaliger geschäftsführender Redakteur bei dpa, Stern und Focus beherrscht er alle Varianten der verbalen und nonverbalen Kommunikation. Hier erklärt uns Rüdiger, was hinter dem Konzept des visuellen Denkens steht.
Was ist gemeint mit visuellem Denken und warum ist es nützlich?
„Es geht um den fundamentalen Zusammenhang von Sehen und Denken“, erklärt Rüdiger Schrader. „Weitsicht, visuelle Antizipation und dreidimensionaler Blick. Wer in Bildern denkt, pflegt seine Bildsprache, entwickelt so seine Sprachbilder, kann so besser Inhalte vermitteln und dadurch besser führen. Das ist eigentlich eine simple Systematik.“ Seine „Bildsprache“ zu entwickeln ist nicht nur für Fotografen wichtig, sondern ist auch für jegliche andere Bereiche nützlich.
„Fotografen führen sich selbst zu besseren Ergebnissen durch diese bewusste Auseinandersetzung mit ihrer Bildsprache. Selbstverständlich verbessern diese Methoden und Techniken aber auch die Kommunikation im Business-Alltag.“ Das lässt sich bei Führungspersonen, in Geschäftsverhandlungen und im Kundenservice Bereich gut beobachten.
“Wer verstanden werden will, muss visuell, also auch in Sprachbildern, kommunizieren können“, legt Rüdiger dar. Damit trifft Rüdiger den Nerv der Zeit, denn möchten wir Mitarbeiter, Kollegen, Team Mitglieder oder Kooperationspartner für ein Ziel begeistern, braucht es bildhafte, echte Visionen.
Warum reicht es nicht auch, mit klaren und treffenden Worten (schriftlich oder mündlich) eine Botschaft zu vermitteln?
Dazu beschreibt Rüdiger: „Weil auch einfache Botschaften mit klaren oder treffenden Worten viele Worte brauchen. Ein treffendes Sprachbild benötigt nur wenig Worte oder weitere Erläuterungen.“ Wäre folgende Information an einen Fotografen leicht verständlich? Rüdiger gibt folgendes Beispiel: „Ursula von der Leyen ist eine Mutter von sieben Kindern und als gerade scheidende Bundesministerin der Verteidigung war sie in dieser Funktion Inhaberin der Befehlsgewalt über knapp 200.000 Soldaten…es wäre doch schön, sie so fotografisch in Szene zu setzen.“ Oder könnte die Information an den Fotografen vielleicht doch „visueller“ ausgedrückt werden und der „Auftrag“ wird verständlicher? Rüdiger: „Ein Foto vom Mannequin der Bundeswehr wäre doch schön. Noch Fragen?“ Hier gäbe es wahrscheinlich weniger Nachfragen und es können Zeitverlust und Ungenauigkeiten vermieden werden.
Gibt es bestimmte fotografische Disziplinen, die helfen, visuell zu denken, bewusster wahrzunehmen, besser Situationen zu erkennen?
Rüdiger erklärt: „Wann immer wir eine Kamera zur Hand nehmen, sollten wir uns Fotofragen beantworten. Vorher. Zum Beispiel im Bereich der „Streetphotography“ dominiert der Glaube, der Weg entstünde beim Gehen, weshalb sich in dieser Disziplin so viele Fotografen verlaufen, die einfach nur mit der Kamera unterwegs sind. Gerade „Streetphotography“ ist eigentlich eine Königsdisziplin in der Fotografie, denn sie erfordert eine Beherrschung aller Stilrichtungen der Fotografie, um „auf der Straße“ reaktionsfähig zu sein. Das muss man trainieren. Vor allem inhaltlich.“
Was hat Rüdiger Schrader dazu bewogen, sich so intensiv mit der Thematik visuelles Denken auseinanderzusetzen?
„Das war mein tägliches Brot in über 30 Jahren, in denen ich nicht nur als Cheffotograf der dpa, sondern vor allem Director of Photography bei diversen Magazinen verantwortlich gearbeitet habe. Und irgendwann habe ich die notwendige visuelle Antizipation der Auftragserteilung oder -erledigung in die Systematik einer Lehrmethode transferiert.“ Denn Rüdigers Anliegen ist es, zu inspirieren, zu perpetuieren und ein Bewusstsein und Begeisterung für visuelles Denken zu initiieren.
Rüdiger Schrader bezeichnet sich selbst als visuellen Denker, Seelentaucher und unorthodoxen Ratgeber. Er ist zertifizierter Trainer und Coach für visuelle Kommunikation. Er gibt bei der SommerAkademie für Fotografie Ende August in Südtirol Workshops zu Visuell Denken und Schwarz-Weiß Fotografie.
* Eingebettet in diesen Artikel ist ein Gespräch (Fragen/Antworten) der IF/Academy mit Rüdiger Schrader, das in 2017 geführt wurde.
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