© Juliane Gareis | Venedig Workshop Juni 2021
Venezia è viva. Schilder mit dieser Aufschrift können wir überall in Venedig sehen.
Venice is alive. Venedig lebt. Wir können es sehen, fühlen und hören.
Das Leben kommt langsam zurück nach Venedig. Besucher in den Gassen, Bootsbetrieb in den Kanälen, Menschen füllen die Cafés in der Sonne.
Wir waren gerade mit dem Fotoworkshop Venedig, Masterclass mit John McDermott in Venedig. Wie fühlte sich Venedig an? Was haben die Teilnehmer wahrgenommen und hinter den Kulissen entdeckt? Was erfahren wir von den Einheimischen und welchen anderen Blick auf Venedig gewinnen wir dadurch, den wir dann fotografisch versuchen festzuhalten.
Wenn du alter Malereien von Venedig von vor hunderten Jahren siehst, dann sieht die Stadt heute noch fast genauso aus. Von welcher anderen Stadt in der Welt kannst du das sagen? Die Gebäude, Palazzi, Säulen, Plätze haben sich nicht verändert. Die Darsteller wohl doch. Es fühlt sich immer noch wie ein Open-Air Museum an, durch das wir mit der Kamera wandeln.
Masken erzählen Geschichten
Von Francesca vom Masken Shop lernen wir, dass es damals einen Magic Moment in time gab, als im 18. Jahrhundert die Karnevalsaktivitäten sechs Monate im Jahr betrugen und in diesen Perioden alle Menschen in Venedig „gleich“ waren. Kostüme und Masken brachen alle Barrieren. Es gab keine Unterschiede zwischen sozialen Rängen, und Besucher aus ganz Europa kamen nach Venedig und tauschten sich aus. Die Stadt verwandelte sich zur Bühne und Lebensraum einer großen Gemeinschaft von diversen Darstellern.
Mit Francesca schauen wir hinter die Kulissen und Geschichten des Karnevals und der Maskenherstellung und halten dies fotografisch fest. Alle Masken in diesem Vater-Tochter Geschäft sind handgefertigt aus Pappmaché und ihre Fertigungskünste von Masken werden von Hollywood, Bollywood und Cirque du Soleil in Anspruch genommen. Die Masken auf den Fotos bekommen eine andere Bedeutung, wenn man den Hintergrund kennt.
Gondeln
Unser Blick auf die Gondeln hat sich verändert. Wie sie sich bewegen, warum der Gondolier wie steht und rudert und was die vielen Verzierungen, Symbole und „Amaturen“ an den Gondeln bedeuten. Nachdem wir in einem der zwei letzten Gondel Werkstätten Venedigs gelernt haben, wie Gondeln gebaut und ausgebessert werden, warum sie nicht symmetrisch konstruiert sind und warum man die höchste Spitze an der Gondel abknicken kann, fotografieren wir die Gondeln aus einer anderen Perspektive.
Verstehen, was wir fotografieren
Dadurch dass John Menschen in Venedig anspricht, Einheimische kennt und wir Gespräche haben ist die Atmosphäre des Workshops so als ob man mit Freunden eine Stadt erkundet und ein ganz anderes Gefühl dafür bekommt, empfindet Teilnehmer Peter. Das wirkt sich auf die Fotografie aus, da wir mit einem anderen Gefühl, Zugang und Einsichten durch die Stadt gehen. Perspektive und Betrachtung ändern sich. Wir fotografieren aus einem anderen Blickwinkel. Wir “verstehen” besser, was wir fotografieren.
“Whenever the international celebrities came along I was never with the other photographers, because I always wanted to take different pictures (…) It is very important to understand the psychology of the person you are taking a picture of.” – Mario de Biasi
Farben Craziness
Fotografenlegende Jay Maisel schreibt in seinem Buch Light, Gesture and Color: “Basically it’s like wow, look at that great color! And I’m gonna shoot it, and that’s it! I don’t make the color, I don’t create the color, I don’t do anything but react to the color. (…) When I see color move me, that’s when I photograph.” -Jay Maisel. Das ist, was dir auf der Insel Burano passiert.
Du bist umgeben von einem Meer an verrückten Farbkombinationen, mit denen die 2.700 Einwohner der Insel Burano ihre Häuser anmalen. Jeder Teilnehmer sieht und interpretiert die Farben anders, hält seine Reaktion fotografisch fest.
Drei ältere Burano Damen erzählen uns, wie sie mit dem jährlichen Acqua Alta (Hochwasser) umgehen, da sie, im Gegensatz zum 9km entfernten Venedig, in ihren kleinen Häusern im Erdgeschoss wohnen und sich somit anders auf das Hochwasser vorbereiten und schützen. Ein Porträt der drei Freundinnen vor einer knallgrünen Wand rundet das Gespräch ab.
Andere Perspektiven
Vom Wasser und vom Dach bietet Venedig andere Perspektiven. Von einem Boot durch die kleinen Kanäle fahrend boten sich unseren Augen und Kameras andere Perspektiven. Auch wird einem die Kunst bewusst, was es heißt, durch die engen Kanäle zu navigieren, wenn Gondeln, Taxiboote, Arbeits-Boote aneinander vorbeifahren.
Ein Freund vor Ort bringt uns zu seinem „heimlichen Canaletto“ Blick vom Dach eines Gebäudes direkt am Markusplatz, das uns den Blick auf den Markusplatz an der Wasserfrontseite, die Basilika und den Dogenpalast ermöglicht. Was für ein Geschenk dieser Blick, früh morgens!
Bilder finden
Wie ist es uns in Venedig ergangen? Wahrscheinlich so, wie Mario de Biasi, der bekannte italienische Reportage Fotograf, der seit den 50er Jahren Italien und die Welt wie besessen mit seiner Kamera festhielt. Er sagte: “You have to go look for beautiful images, you have to walk, and keep walking, and sometimes just stop to get a proper look. Sometimes the photograph is right there, but you have to move around something before noticing it.” (Mario de Biasi).
So war es ein „runder Abschluss“, wie Teilnehmerin Juliane sagte, dass wir am Sonntag morgen die Retrospektive von “Mario de Biasi 1947 – 2003” im wunderschönen Palazzo Tre Oci auf Giudecca anschauten. Schwarz-Weiß Fotografien, Reportagen, Streetphotography, Menschen in ihrem Lebensumfeld in Italien und Ländern der ganzen Welt.
Bilder fühlen
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, sich einer Stadt fotografisch zu nähern. Zum Beispiel als Betrachter von der Seitenlinie, wie beim Fußballspiel, und einen Überblick über die Stadt erhalten und fotografieren. Oder, was wir gemacht haben, in die Stadt eintauchen, sich aufs Spielfeld begeben, das innere Wesen verstehen und von dort aus Geschichten und Eindrücke fotografieren.
Dazu fällt mir ein, was ich neulich bei Eberhard Schuy gelesen habe: „Nur wenn die Fotografierenden eine besondere Verbindung, ein tiefes Verständnis für „ihre“ Objekte aufbauen, kann es gelingen, sie individuell, beeindruckend und Wertigkeit transportierend darzustellen. Ist dieser Spirit im Moment des Fotografierens nicht vorhanden, entsteht eines dieser beliebigen Bilder! Achten wir also darauf, dass uns, bevor wir mit der Fotografie starten, das Gefühl und die Achtung für das Motiv bewusst ist.“ – Eberhard Schuy
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