Früher waren Fotos ein Medium, wichtige und besondere Ereignisse im Leben eines Menschen, einer Familie oder eines Zeitgeschehens festzuhalten, zur Dokumentation, Erinnerung oder zum Teilen. Inzwischen erfassen wir mit Fotos Dinge, um anderen unsere Sichtweisen zu demonstrieren, ungewöhnliche Momente oder alltägliche Banalitäten zu dokumentieren und der Welt vor die Füße zu klatschen.
Und der Wahnsinn kann noch weiter gehen, dass ein im Internet eingestelltes Foto von jedermann heruntergeladen, manipuliert, wiederverwendet, umgedeutet und erneut online gestellt werden kann. Oder ein jedermann dies zumindest könnte, aber wahrscheinlich nicht sollte. Es ist möglich, die Kontrolle über das Foto vom Fotografen weg und in den öffentlichen Bereich zu verlagern. Allerdings, ein Bedürfnis nach Wahrhaftigkeit gibt es trotz der Manipulierbarkeit der Bilder, oder vielleicht gerade deswegen.
Verliert das Foto an Wertschätzung?
Nach Ansicht einiger Anthropologen und Psychologen verschmilzt die Fotografie mit unseren täglichen Erlebnissen, sie vergrößert manchmal wie eine Lupe die Details des Lebens eines Menschen und verleiht den Momenten mehr Intensität oder lässt sie in der Masse derselben verblassen. Die Betrachter der Fotos sitzen uns direkt gegenüber am Esstisch oder an ihren Bildschirmen auf der anderen Seite des Globus.
Wir mögen denken, dass die Welt kleiner geworden ist durch Internet, KabelTV und die Plattformen der sozialen Medien, aber sie ist auf eine andere Weise distanzierter geworden und weniger eine Gemeinschaft mit weniger Empathie.
Scrollen wir nur noch oder schätzen wir auch, was uns die Bilderflut bietet? Das Foto als Teil des kollektiven Gedächtnisses, die Besonderheit eines persönlichen oder historischen Moments scheint an Wertschätzung verloren zu haben.
Bewusstsein und Empathie
Je mehr Bilder betrachtet werden, desto mehr könnten wir erwarten, dass die Wertschätzung eines guten oder schlechten Bildes bis zu einem gewissen Grad zunimmt, nicht wahr? Dies geht allerdings nur, wenn ein Bild beim Betrachten bewusst bewertet und gewürdigt wird, auch wenn dies nur auf „gefällt mir/gefällt mir nicht“ beschränkt ist. Letztendlich können wir nur mit einem gewissen Grad an Bewusstsein Urteile treffen. Ist dieses Bewusstsein vorhanden?
Sinkt unsere Wertschätzung für engagierte, reflektierte Fotografie? Welche Bedeutung ein Bild noch hat, ist schwerer einzuordnen als früher.
Auf der anderen Seite gibt es Stimmen, dass Fotofestivals und Ausstellungen enormen Zulauf haben. Vielleicht hat die Verbreitung von bezahlbaren Digitalkameras und Smartphones zu einer unerwarteten Öffnung der Fotografie geführt?
Oder entsteht ein Spagat zwischen dem einfachen Zugang zur Fotografie und Verbreitungsmöglichkeiten von Bildern und dem aus der digitalen Revolution sich ausbreitendem Ziel- und Wertewandel? Untersuchungen zeigen, gerade bei jüngeren Generationen, dass sich ein Rückgang der Empathie beobachten lässt. Brauchen wir nicht Empathie, um die Bilder anderer, und unsere eigenen, wertzuschätzen?
Weniger für mehr Wert
Was könnte passieren, wenn wir etwas entschleunigen und besonnener an die Fotografie herangehen und entsprechend weniger Fotos machen? Den Akt der Fotografie schätzen, die Wahl des Bildausschnitts abschätzen und besondere Werke wertschätzen. Könnten dann vielleicht wertvolle Bilder entstehen? Wert und Qualität entsteht, wenn wir in die Tiefe gehen. Wer an der Oberfläche schwimmt, wird das Herausragende nicht sehen.
Stattdessen: Wir können an der Oberfläche anfangen, langsam reifen und den Fotos und der Fotografie immer weiter auf den Grund gehen…..und schätzen lernen.
Wir wissen, dass Wertschätzung wichtig ist, nicht nur für unsere Bilder oder die der anderen. Wir wissen, dass Wertschätzung auch Wunder wirken kann und bessere Ergebnisse produziert, ob in der Fotografie oder im Leben. Warum wird Wertschätzung so oft vernachlässigt?
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