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Inspiration Fotografie

Fotoworkshop Sommerakademie - available light - 2018

More is Less. Überwältigt von zu viel. Reduktion beim Fotografieren.

by Claudia Brose

Eine Psychotherapeutin in San Francisco hat eine Gruppe von Patienten, die mittlerweile den Großteil ihrer Klienten ausmacht: die Millennials (oder auch Generation Y genannt). Das größte Problem mit dem diese jungen Berufstätigen (circa 22-37-jährigen) sich vermehrt an die Therapeutin wenden ist, dass sie zu viel Auswahl hätten und sich nicht entscheiden können. Sie haben Angst, sich falsch zu entscheiden und womöglich bereuen, nicht doch eine der vielen Auswahlmöglichkeiten bedacht zu haben.

Entscheidungsmüdigkeit

Entscheidungsmüdigkeit wird das auch genannt. In unserer Informationsüberladenden Welt und dem permanenten Druck, erfolgreich zu sein (was wir für “erfolgreich” halten, ist ein anderes Thema…), ist Entscheidungsmüdigkeit normal geworden. Welchen Karriereweg, welchen Partner, welche Produkte kaufen, welches Land bereisen? Für jede Lebenssituation gibt es heute unendliche Optionen. Die Notwendigkeit, sich auf irgendetwas festlegen zu müssen, gibt es für die Millennial Generation kaum noch. Das hört sich doch eigentlich gar nicht so schlimm an, hat aber einige negative Nebenwirkungen. Die Fülle an Auswahlmöglichkeiten scheint einerseits sehr reizvoll und sicherlich oft hilfreich. Untersuchungen zu den Auswirkungen dieses Überangebots zeigen allerdings, dass wir uns von dem Überangebot oft gestresst und überwältigt fühlen. Junge Erwachsene schieben Entscheidungen auf und fühlen sich letztendlich ziellos und orientierungslos.

Bei der Fotografie ist es nicht anders. Die Auswahl an Ausrüstung und technischen Möglichkeiten sind fast unübersichtlich.

Bildgestaltung beim Fotografieren

Letztes Jahr bei der SommerAkademie fiel dem Workshopleiter Ralph Rosenbauer in seinem Workshop Planung und Arbeiten mit einem Fotomodel auf, dass viele Teilnehmer sich in ihrem Equipment und der Technik verloren. Die Möglichkeiten, die moderne Techniken bieten ist überwältigend und damit auch verwirrend. Welches Objektiv einsetzen für welche Einstellung mit dem Model bei available light? Für das neue Motiv vielleicht besser nochmal das Objektiv wechseln? Seine Beobachtungen inspirierten Ralph zu einer Workshop Idee, bei der die Teilnehmer dazu angeregt werden sollen, die technische Vielfalt bewusst zu reduzieren und diese Reduktion als Stärke zu erfahren.

Entschleunigen mit einer Kamera und einem Objektiv. Die Technik herausnehmen und mehr auf die fotografische Gestaltung fokussieren. Nur mit einem sogenannten “Normalobjektiv” arbeiten und die Wahrnehmung und das Auge schulen. “Das Auge des Fotografen führt in vielen Fällen zu einer bewussten Bildgestaltung”, sagt der Fotograf Ralph Rosenbauer. Wie können wir in Bildern zum Beispiel besondere Räume und Locations mit einem Normalobjektiv herausarbeiten?

Fokus durch eine Lichtquelle

Die Beschränkung auf eine Lichtquelle ist ebenfalls dazu geeignet, seine Fähigkeiten darin zu üben, mit wenig Equipment zu arbeiten. Insbesondere wenn man nicht als Auftragsfotograf eine bestimmte fotografische Situation bearbeiten muss, hilft es, seine Geschicklichkeit darin zu üben, wie Bilder mit einfachen Licht- oder Blitzeinsätzen oder nur mit der Sonne als Lichtquelle gestaltet werden können. Die bewusste Reduktion der Technik lenkt die Aufmerksamkeit auf zum Beispiel die Person, die portraitiert werden soll und bietet die Möglichkeit, sich mehr mit der Person, ihrer Ausstrahlung, ihrem Verbogenen auseinanderzusetzen. Ich muss genauer und bewusster mit dem vorhandenen Licht einer Lichtquelle spielen, um die Person sprichwörtlich ins rechte Licht zu rücken.

Sehen und fotografieren

Vielleicht lernen wir so auch wieder, mit Überraschungen umzugehen. Mit Ungeplantem. Weil wir beobachten und uns Zeit nehmen, die Situation, das Umfeld und die Möglichkeiten zu eruieren. Laufe ich bewusst schauend durch ein Einkaufszentrum und nehme wahr, wo Treppen, Notausgänge und Türen sind, anstatt mit meinem Kopf im Smartphone zu versinken zwischen den Geschäften, kann ich mir bei einem Brand besser helfen und schneller reagieren. Verliere ich mich nicht heillos in der Technik beim Fotografieren, kann ich bei Überraschungssituationen mit dem Model, der Location oder dem sich stetig wandelnden Licht auf eine sich ändernde Situation reagieren, weil ich vorher bewusst das Umfeld und die Gegebenheiten wahrgenommen habe, anstatt mich im Equipment zu verlieren.

Improvisieren bei der Fotografie

Die Reduktion zwingt mich, Lösungen zu kreieren, mich stärker mit der Situation und den gegebenen Möglichkeiten auseinanderzusetzen. Es kommt also auch das Improvisieren ins Spiel. Die bewusste Auseinandersetzung mit der Improvisation hilft uns, unser komplexes Umfeld stärker wahrzunehmen und besser zu navigieren. Übe ich mich im Improvisieren, bin ich besser gewappnet, zwischen professioneller Planung und Improvisation eine ausgewogene Balance zu finden, was mir bei einer erfolgreichen, wenn auch anders als geplanten, Umsetzung eines Fotoshootings hilft.

More is Less. Mehr, oder zu viel, kann am Ende wenig sein. Ein wenig durchdachtes Bild, die Möglichkeiten der Bildgestaltung nicht genug herausgearbeitet, oder das Objekt oder Subjekt sind nicht im Einklang mit dem Umfeld. Reduktion in der Fotografie. Damit wir nicht von zu viel Technik, Equipment und Auswahlmöglichkeiten überwältigt werden, sondern das Wesentliche im Blick behalten.

 

Claudia BroseMore is Less. Überwältigt von zu viel. Reduktion beim Fotografieren.

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